Lombardei
Die Lombardei ist vitikulturell polyphon. Wobei im lombardischen Weinbau die vielen Stimmen nicht ineinandergreifen, sondern deutlich voneinander abgegrenzt sind. Sie haben im Grunde nichts miteinander zu tun, es scheint nicht einmal fließende Übergänge zu geben. Die 5 DOCGs, 22 DOCs und 15 IGTs der Lombardei integrieren (und manchmal imitieren sie sie auch) zwar unzählige Traditionen, Weinstile und Rebsorten aus allen möglichen Ecken der Welt, zwischen einem Sfursat aus dem Valtellina und einem Lambrusco aus Mantua scheint jedoch mehr als nur eine Welt zu liegen.
Das macht eine einheitliche Bestandsaufnahme der Region quasi unmöglich, doch lohnt es sich zumindest kurz zu umreißen, wo die Unterschiede liegen und noch viel wichtiger, wo man auf die besten Winzer trifft. Das mit Sicherheit spektakulärste Weinbaugebiet der Lombardei ist das Valtellina. Nicht mehr am Fuße sondern bereits in den Alpen gelegen, ist man einen Steinwurf von der schon zur Schweiz zählenden Bernina-Gruppe entfernt und Steine zum Werfen finden sich definitiv mehr als genug. Die Böden sind karg, die Terrassen oft aus dem Berg gehauen und die klimatischen Bedingungen grenzwertig.
In Italien hat man für die Art des Weinbaus, wie sie im Valtellina betrieben wird, den schönen, pathosbehafteten aber passenden Begriff „VITICOLTURA EROICA“ geprägt, in deutschsprachigen Breiten würde man damit ganz profan Bergweinbau meinen. Wobei es – abgesehen vom Wallis – nirgendwo in Mitteleuropa so heroisch zugeht wie im Valtellina. Rund um Sondrio, exzellentes Schigebiet und wichtigste Stadt der Region ziehen sich links und rechts Weingärten die Berghänge hoch, die naheliegenderweise vor allem in Richtung Sonne und Süden schauen. Angebaut wird – fast ausnahmslos – Chiavennasca, wesentlich bekannter unter ihrem piemontesischen Namen Nebbiolo. Neben dem klassischen Typus keltert man mit dem Sfursat auch einen Spezialversion aus luftgetrockneten Trauben (ähnlich dem Amarone). Handwerk ist im Valtellina fast alles und mittlerweile gibt es auch ein knappes Dutzend Winzer, die nach biologischen Richtlinien arbeiten.
Ein paar Bergketten weiter südlich befinden sich gleich zwei Weinregionen. Die kaum bekannte und wenig relevante Bergamasca und, wenige Kilometer davon entfernt, die Franciacorta, ihres Zeichens wiederum die bekannteste Weinbauregion der Lombardei. Seit den 60er Jahren widmet man sich dort der Herstellung von Spumante, seit 1995 kann man sich, macht man denn alles regelkonform, das DOCG auf das Etikett drucken. Franciacorta leitet sich von „von der francae curtes“ ab und bezieht sich auf die einstige Steuerbefreiung für die sich damals in der Gegend befindlichen französischen Zisterzienserklöster. Auch sonst spielt Frankreich eine eminente Rolle im Selbstverständnis einer Region, die man ziemlich unverdient als Champagne Italiens bezeichnet. Zwar bedient man sich derselben Rebsorten (Pinot Noir, Chardonnay + ein wenig Pinot Blanc) und vinifiziert nach der Methode champenoise (Flaschengärung), qualitativ ist man allerdings – mit ein paar Ausnahmen – ein paar Lichtjahre von der ultimativen Schaumweinecke im Norden Frankreichs entfernt. Spannend wird es vor allem dort, wo auch die Franciacorta auf Kalk (und nicht auf Moränenablagerungen) baut, allerdings ist das nur in einem sehr überschaubaren Bereich der Fall.
Oltrepò Pavese ist eine der eigenwilligsten und eigenartigsten Regionen Italiens mit einer erstaunlichen Dichte an exzellenten Winzern. Hier kultiviert man neben Croatina und Barbera, den Klassikern der Zone, auch Riesling und Welschriesling und scheint zudem eine Affinität für Pinot Nero entwickelt zu haben. Daneben gibt es Vespolina und Uva Rara, Chardonnay und Pinot Grigio, Merlot und Cabernet etc. Es gibt 7 DOCs, eine DOCG und insgesamt 36 verschiedene Weinstile, die so ziemlich alles abdecken, was man an unterschiedliche Stilrichtungen kennt. Hinzu kommt eine Topographie, die sich in unzähligen Faltungen allen vier Himmelsrichtungen öffnet, von 100 Meter schnell auf 500 Meter ansteigt und wieder abfällt und von Mergel, über Kalk, Ton, Gips, Konglomeraten, Sand, Schwemmland bis Moränengestein, alles bietet, was man sich als Winzer wünschen kann.
Oltrepò Pavese liegt, wie es der Name bereits ankündigt, südlich des Po, eingeklemmt zwischen der Emilia und dem Piemont. Einflüsse kommen von da wie dort und werden in einer Bandbreite an Weinen assimiliert wie man sie in Italien ansonsten eher selten findet. Es mangelt an regionale Eigenständigkeit oder einer alles vereinende Sorte wie im Valtellina oder selbst in der Franciacorta. Diesen vogelfreien Status nutzen viele Winzer, um sich auf experimentelle oder bisweilen auch identitätsstiftende Pfade zu begeben. In aller Kürze: in Oltrepò werden all jene glücklich, die kein Problem damit haben, es immer wieder mit neuen – und dabei immer wieder auch aufregenden – Weinen zu tun zu haben.