La Distesa
Jonathan Nossiter, der Regisseur von „Mondovino“ und „Resistenza Naturale“ und Autor des exzellenten Buches „Liquid Memory“ meinte einmal, dass es Poeten braucht, um große Weine zu machen. Corrado Dottori ist einer von ihnen.
Corrado Dottori ist zuallererst Winzer. Ihn darauf zu beschränken, wäre ihm zwar vermutlich sehr recht, würde allerdings einen nicht unwesentlichen Teil seiner Aktivitäten unterschlagen. So hat er 2012 das Buch „Non è il vino dell’enologo“, „das Lexikon eines Winzers, der opponiert“, vorgelegt und 2017 in La Musica vuota, einen Blick auf die Generation der heute 40-50-Jährigen geworfen und dabei die Musik, ein zweites zentrales Thema in seinem Leben zum Protagonisten gemacht. Er betreibt unweit des Weinguts gemeinsam mit seiner Frau einen kleinen Agriturismo und betätigt sich auf seiner Webseite immer wieder als Blogger; wobei es vermutlich treffender ist, ihn als Essayisten, Vordenker und kritischen Kommentator gegenwärtiger Weinkonzeptionen zu bezeichnen.
Cupramontana
Corrado Dottoris Weingut La Distesa liegt in Cupramontana, im Herzen der Marken. Sein Territorium ist auch das des Verdicchio, der großen weißen Sorte der Gegend: die meisten seiner insgesamt sieben Hektar sind damit bestockt, ein Großteil davon in der Lage San Michele, einer Art Grand Cru von Cupramontana (das wiederum als qualitative Kapitale der Sorte angesehen wird). Größtenteils zwischen 25 und 45 Jahre alt, wurzeln die Reben in einem Terrain, das sich vor 23 Millionen Jahren konstituiert hat und sich aus unterschiedlichem Sedimentgestein marinen Ursprungs zusammensetzt. Die Topographie ist selten flach und bisweilen extrem steil. Das Terroir rund um Cupramontana gilt seit dem 17. Jahrhundert als prädestiniert für langlebige und strukturierte, aromatisch komplexe Weine – und tatsächlich gibt es seit gut 40 Jahren wieder zunehmend Weine, die dem historischen Urteil gerecht werden.
Corrado Dottori hat im Jahr 2000 begonnen, erste Weine von damals gerade einmal drei Weingärten zu keltern. Zwar half er seinen Eltern schon davor gelegentlich bei anstehenden Arbeiten, doch lebte er nach einem Wirtschaftsstudium in Mailand und kam nur selten in seine alte Heimat. Nach seinem Entschluss der Großstadt den Rücken zu kehren und Weinbauer zu werden, galt es zuerst ein Verständnis für die Eigenheiten seiner Weingärten und Terroirs aufzubauen.
Er hörte sich also bei den alten Winzern der Gegend um und bettete ihre Informationen in einen Ansatz ein, der sich von Anfang an, der Dialektik von Natur und Kultur bediente.
Der Äquilibrist
Auf der Webseite von La Distesa definiert Corrado seine Tätigkeit: „Der authentische Winzer ist ein Äquilibrist. Er liebt das Risiko. Er bewegt sich auf dem steilen Grat, der den Triumph vom Untergang trennt. Immer in Balance. Immer in der Schwebe. In der Felswand, mit dem Blick auf unbekanntes Terrain. Er steigt so gut es geht weiter, ohne je zu wissen, was bei der nächsten Bewegung passieren wird.“
Corrado verweigert sich der Maschinisierung seiner Weingärten und größer zu werden. Er hat seinem ursprünglichen Besitz ein paar wenige Parzellen mit roten Sorten (Montepulciano, Sangiovese und Vernaccia rossa) hinzugefügt und es dabei belassen. Er arbeitet quasi ausschließlich per Hand und hat so ein intensives Verhältnissen zu seinen Rebstöcken und die sie umgebenden Natur aufgebaut: „…Wir haben zwischen unsere Rebzeilen Ackerbohnen, Lupinen, Erbsen und Luzernen gesetzt und respektieren die Physiologie der Rebe: … wir schneiden die Reben behutsam, entblättern nicht, düngen nicht, verwenden einzig Schwefel und Kupfer in möglichst geringen Mengen und bringen Brennnessel und Ackerschachtelhalm-Tees aus: Im Herbst und Frühling spritzen wir biodynamische Präparate. In unseren Weingärten (und auch in den Olivenhainen) finden sich neben den Reben Büsche, Hecken, Bäume und ständig wechselnde Einsaaten.“
Erklärtes Ziel ist es naheliegenderweise nach der Lese Trauben im Keller zu haben, die keine unnötigen und manipulativen Behandlungen mehr brauchen; die letztlich Weine ergeben, die durch sorgsame und handwerkliche Arbeit entstanden, die Geschichte ihres Ortes, ihrer Sorte und der Menschen, die sie das Jahr über begleitet und gepflegt haben, erzählen. Weine, die dem Begriff Terroir seine eigentliche Bedeutung verleihen.