Abruzzen

In den Abruzzen ein Weingut ohne Montepulciano zu finden, ist ungefähr so wahrscheinlich wie in South Dakota einen Haushalt ohne Schusswaffen. Der rote Allrounder ist omnipräsent und mit nahezu ebenso großer Wahrscheinlichkeit wurzelt neben ihm die weiße Trebbiano. Die beiden Sorten bestimmen das ampelographische Bild einer Region, die zwar nicht vollends vom Radar mitteleuropäischer Weintrinker verschwunden ist, über die man aber für gewöhnlich ungefähr so viel weiß wie über South Dakota.

Bis vor kurzem war das nicht allzu schade. Orderte man einen Montepulciano d’Abruzzo bekam man, je nach finanziellem Aufwand, entweder einen überambitionierter, weil überextrahierter, von Holz erschlagenen, aufdringlichen und meist untrinkbaren Wein vorgesetzt oder aber eine undefinierbare, flache, sperrige und letztlich belanglose Banalität, die zwar oft einen Gegenpol bildete, die Sache aber nicht wesentlich besser machte. Über Trebbiano konnte man ebenfalls den Mantel des Schweigens breiten. Man hätte die Abruzzen also ohne weiteres von der vitikulturellen Landkarte Italiens streichen und sich stattdessen mit den benachbarten Marken oder Kampanien beschäftigen können, wären da nicht zwei Winzer gewesen, die Jahr für Jahr zeigten wie verblüffend gut beide Rebsorten schmecken konnten – machte man die Sache nur richtig.

Edoardo Valentini und Emidio Pepe, der eine tot, der andere in Pension waren nicht nur zwei Ausnahmefiguren in der Weinszene der Abruzzen, beide sind bis heute Ikonen des italienischen Weinbaus. Valentini wurde vom Gambero Rosso nicht nur einmal als bestes Weingut Italiens ausgezeichnet, während über Emidio Pepe vor kurzem immerhin eine (exzellente) Biographie verfasst wurde – etwas, was in Winzerkreisen nicht allzu häufig passiert. Es gab also Hoffnung, personifiziert in zwei traditionell und nachhaltig arbeitenden Winzern, an denen sich andere orientieren konnten. Erst sporadisch, dann immer öfter entstanden quer durch die Region Weine, die man nicht nur trinken konnte, sondern wollte. Mittlerweile findet sich in den Abruzzen ein gutes Dutzend exzellenter Weingüter, Tendenz steigend.

Dabei folgte man zwar diversen Prinzipien der beiden (biologischer Weinbau, Ausbau in Zement oder großen Holzfässern), adaptierte sie allerdings an das jeweilige Umfeld, das in den Abruzzen extrem unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem ob man sich am Meer oder in den Bergen befindet – oder aber in den Hügeln dazwischen. Mit den differenzierten Landschaftsprofilen gehen klimatische Abstufungen, unterschiedliche Bodentemperaturen, Niederschlagsmengen und Expositionen Hand in Hand, die – auf nur wenigen Kilometern – zu völlig unterschiedlichen Weinen führen können. Erstaunlich bleibt dabei die Tatsache, dass, egal wo man sich befindet, immer Montepulciano den Ton angibt. Hat man es an der Adria fast zwangsläufig mit generösen, ausladenden, fruchtbetonten und warmen Weinen zu tun, finden sich in den Hügeln rund um Teramo und weiter oben, bei Sulmona meist kühle, strenge und von Kräutern und Pfeffer dominierte Versionen. Gut gemacht, hat beides seinen Reiz.

Jenseits von Montepulciano und Trebbiano setzt man sich in den Abruzzen auch zunehmend mit alten Rebsorten der Gegend auseinander. So keltert man aus Pecorino feinkräuterige, filigrane und säurebetonte Weine und aus Passerina delikate und lebendige Versionen mit vielschichtigen Aromen und  viel Spannung.

Hinzu kommt eine Handvoll junger Winzer, die mit diversen Experimenten (Ganztraubengärung, Maischestandzeiten, ungeschwefelte Weine, Amphoren) neue, bisweilen aber auch sehr alte, in Vergessenheit geratene Wege beschreiten und auf originelle und eigenwillige Weise das Potenzial der Abruzzen weiter ausloten.

→ Emidio Pepe
→ Terraviva