NEBBIOLO


Sich aus dem Fenster zu lehnen und zu sagen, dass Nebbiolo Italiens größte Rebsorte ist, ist eine relativ ungefährliche Sache. Zu sagen, dass sie weltweit die Nase vorne hat, ist schon gefährlicher und wird zumindest von der Fraktion der Pinot Noir-Trinker unterminiert werden. Zu behaupten, dass sie die größte Sorte des Piemonts ist, könnte allerdings zum Sturz führen. Denn sollten sich die Vermutungen der Ampelographen irgendwann bestätigen, dann stammt Nebbiolo weder aus Barolo noch Barbaresco und auch nicht aus Bramaterra oder Gattinara, sondern aus dem Valtellina und folglich aus der Lombardei.

Den Grund für diese Annahme liefern wiederum andere Rebsorten wie Brugnolo, Rossola, Pignola, Rossolino etc., die in einem engen Verwandtschaftsverhältnis mit Nebbiolo stehen und allesamt ihren Ursprung in der felsigen Welt des Valtellina haben. Und natürlich auch die Tatsache, dass die Sorte dort bis heute kaum bekannte, aber immer wieder fantastische Interpretationen erfährt. 

Nebbiolo breitete sich im Laufe der Jahrhunderte jedenfalls über das komplette Piemont und den Süden des Aostatals aus und scheint in dem kühlen, voralpinen Territorium seine optimalen natürlichen Voraussetzungen gefunden zu haben. (in Italien hat man es abgesehen von ein paar sardischen Winzern aufgegeben, die Sorte auch woanders zu kultivieren und auch im übrigen Europa scheint sich kein Ort zu finden, wo man Nebbiolo die Bedingungen bieten kann, die ihr zu ihrer Reputation verholfen haben.

Geschichte: Nebbiolo ist nicht nur edel, sondern auch alt. Plinius der Ältere nannte sie nubbiola, ein lateinischer Verweis auf den Nebel, der sich im Allgemeinen über die Weingärten des Piemonts legt, wenn man, spät im Herbst, die Sorte liest. Seit damals findet sie immer wieder Erwähnung in Aufzeichnungen unterschiedlichster Art, unter anderem in einem 1402 in La Morra erlassenem Dekret, das die Beschädigung von Nebbioloreben unter schwere Strafe stellt. Was den Schluss nahelegt, dass man auch schon vor 600 Jahren wusste, dass man es bei Nebbiolo mit DER exemplarischen Qualitätssorte der Region zu tun hatte (was nicht ganz selbstverständlich war, da man mit Freisa, Grignolino, Barbera und, in den richtigen Zonen und richtigen Händen, Dolcetto auch noch aus anderen Sorten ganz exzellente Weine herstellen konnte).

Nebbiolo vereint – in aller Kürze – alle Attribute, die man sich bei großen Weinen wünscht. Er liefert Säure und zupackende aber feine Tannine. Er ist elegant und filigran und hat dabei doch Tiefe. Er ist sensorisch komplex, subtil und nuanciert mit einem immensen Aromaspektrum. Er ist nie aufdringlich. Er übersetzt wie keine andere rote Sorte außer Pinot sein Terroir in den gekelterten Wein. Er reift blendend. Damit all diese Komponenten auch zum Vorschein kommen können, bedarf es allerdings einiger ineinandergreifende Voraussetzungen.

  1. Süd, südost- oder südwestseitige Lagen wären nicht schlecht. Nebbiolo reift spät und braucht neben dem grundsätzlich eher kühlen Klima Norditaliens Sonne (es gibt, vor allem im Barolo, leider eine Tendenz auch weniger privilegierte Lagen mit Nebbiolo zu bestocken, da die Sorte finanziell deutlich mehr abwirft als Barbera & Co.)
  2. Sandige mit Ton und Kalk durchsetzte Böden – innerhalb des Piemonts und der Lombardei gibt es zwar erhebliche Unterschiede in der Gewichtung der Anteile, die Basis bleibt allerdings ziemlich gleich

Vinifikation: Der Glaubenskrieg zwischen Modernisten (neues Holz, Ertragsreduzierung, neue Klone, dichte Bestockung, Temperaturkontrolle, kurze Mazerationszeiten, früh antrinkbar) und Traditionalisten (große Holzfässer, lange Mazerationszeiten, keine Temperaturkontrolle etc.), der in den 80er Jahren in Barolo und Barbaresco ausbrach und sich bis in die 2000er Jahre fortsetzte, scheint zwar mit leichten Gewinnen für die Traditionalisten beendet worden zu sein, individuelle Noten prägen allerdings glücklicherweise weiterhin ganz eminent die Weine. Die besten Weine stammen wie so oft von Winzern, die behutsam und bedacht im Weingarten arbeiten und Zurückhaltung und Verzicht im Weinkeller üben und der Rebe genau die Freiheit lassen, die sie braucht.